Zu wenig Führung und Fehlerkultur in deutschen Amtsstuben
Bürokratie liegt nicht nur in der Regelungswut der Politik begründet, die über die Jahrzehnte Regel auf Regel packt und – typisch deutsch – jeden Einzelfall bedacht haben will. Eine neue Studie zeigt auf etwas anderes: Im Verwaltungsvollzug regiert eine Kultur der Absicherung.
München, den 28. Juli 2025. Eigenverantwortung und Zielorientierung – das ist nicht die vorherrschende Qualität in Vollzugsverwaltung und Ministerialbürokratie. Die Kurzstudie der Stiftung Familienunternehmen „Kulturelle Ursachen der Überbürokratisierung“ legt zu Beginn das angelsächsische Rechtsverständnis neben das deutsche. Dort Pragmatismus, Flexibilität und Interessenausgleich, hier strenges Rechtsstaatsprinzip und Interessenneutralität. Hinzu tritt die Angst, dass Klagen vor den Verwaltungsgerichten auf die Bearbeiter in den Ämtern zukommen.
Studienautorin Professor Nathalie Behnke von der Universität Darmstadt plädiert für mehr Mut und Vernunft im Verwaltungsvollzug, erreichbar durch bessere Führung und starke Vorbilder. Denn die Behörden können das Ausmaß der bürokratischen Belastung von Familienunternehmen durchaus positiv oder negativ beeinflussen. Aber nur bei Ermutigung und Rückendeckung trauen sich die Mitarbeiter, Ermessensspielräume auszunutzen.
Der Bürokratieabbau erzeugt neue Bürokratie
Die Politikwissenschaftlerin greift nicht nur auf den Stand der Forschung zurück, sondern hat 19 Interviews in Behörden auf verschiedenen föderalen Ebenen geführt sowie drei weitere mit Vertretern der privaten Wirtschaft. Am Beispiel des Baurechts arbeitet sie heraus, wie ratlos die Verwaltungsmitarbeiter dem widersprüchlichen Regelwirrwarr gegenüberstehen und wie sogar gut gemeinte Vereinfachungen von oben alles nur weiter komplizieren. Auch die Digitalisierung macht zumindest anfangs erstmal alles langsamer, schon wegen fehlender Schnittstellen.
Perfektionismus und Silodenken
Im Herzen haben die Mitarbeiter meist eine ausgeprägte Serviceorientierung, wollen also dem Bauherrn helfen und Bauen ermöglichen. Andererseits versucht auch jede Fachbehörde ihr Anliegen selbstbewusst zu transportieren und verliert das politisch gewollte Ziel teils aus den Augen.
Das liegt auch an den typischen Karrieren. Wenig Praxiserfahrung und Positionswechsel in den Behörden, wenig Fluktuation in den Normen produzierenden Ministerien – das sorgt nicht gerade für einen Blick über den Tellerrand. Perfektionismus schlägt Pragmatismus. Ein Umdenken hält Behnke für geboten:
Menschen auf allen Ebenen und in allen Rollen, die versuchen, Ziele umzusetzen und Regeln zu beachten, sind frustriert, verzweifelt, demotiviert und ratlos, weil der Regelbestand sich nicht mehr umsetzen lässt.
Prof. Nathalie Behnke, Studienautorin der Universität Darmstadt
Wir sollten die Rückmeldungen aus Vollzug und Praxis ernst nehmen. Und nicht versuchen, Bürokratie mit bürokratischen Mitteln abzubauen, also kleinteilig und kompliziert. Einfache und klare Regeln mit nachvollziehbarer Priorität und mehr Vertrauen: das hilft den Mitarbeitern in den Behörden – und dem Unternehmertum.
Prof. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen
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