Arbeitnehmerrechte auch in der SE geschützt
München, den 27. November 2022. Sind die Mitbestimmungsrechte der deutschen Belegschaft bei Umwandlung in eine SE geschützt? Oder besteht Handlungsbedarf, wie es der Koalitionsvertrag der aktuellen Ampelregierung angekündigt hat? Dies hat die Stiftung Familienunternehmen in einem aktuellen Gutachten untersuchen lassen. Autor ist Professor Christoph Teichmann von der Universität Würzburg, Experte sowohl für deutsches als auch europäisches Handels- und Gesellschaftsrecht.
Hoher Wert der Mitbestimmung in Deutschland
In Deutschland hat die unternehmerische Mitbestimmung einen hohen Wert – höher als in anderen Mitgliedsstaaten der EU. Allerdings gilt das Mitbestimmungsrecht nur für Arbeitnehmer, die in Deutschland beschäftigt sind. Viele international tätige Familienunternehmen entscheiden sich für die Rechtsform der Societas Europaea (SE), also der europäischen Aktiengesellschaft, die auch Mitarbeiter im Ausland einbezieht.
Für die SE gibt es seit rund 20 Jahren eine Grundlage im europäischen Recht. Dabei nimmt das Unternehmen den Grad seiner Mitbestimmtheit abhängig von der Beschäftigtenzahl in die neue Rechtsform mit; sie bleibt im Nachgang fix, auch wenn die Beschäftigtenzahl steigt (Einfriereffekt).
Diesen „Einfriereffekt“ bei der unternehmerischen Mitbestimmung der SE begrenzt der Gesetzgeber in Deutschland schon heute. Die Arbeitnehmer können sich auf den Bestandsschutz verlassen und notfalls nachverhandeln. Deutschland erfüllt mit seiner Missbrauchsregelung die europäischen Vorgaben, könnte sie höchstens noch näher konkretisieren. Dies sind die Ergebnisse des neuen Rechtsgutachtens der Stiftung Familienunternehmen.
Erst verhandeln, dann auffangen
Teichmann beschreibt die weit voneinander entfernten Traditionen der Mitbestimmung in Europa: 30 Jahre währte der Weg zur SE-Richtlinie und einer SE-Verordnung zur Arbeitnehmerbeteiligung. Er sieht aus deutscher Sicht keine Möglichkeit, das EU-Recht anzufassen. Er hält viel vom derzeit geltenden Zusammenklang aus Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern einerseits und einer Auffangregelung für den Fall, dass sie sich nicht einigen. Denn dadurch werde bei Umwandlung in eine SE mindestens das vorhergehende Mitbestimmungsniveau gewahrt.
Mit Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sieht Teichmann für den deutschen Gesetzgeber nur die Möglichkeit, dem Missbrauch des Einfriereffekts entgegenzuwirken, in dem man engere Kriterien für eine Missbrauchsvermutung festlegt: Das Unternehmen darf sich nach der Umwandlung in eine SE nicht sofort wesentlich anders darstellen als zuvor.
SE nicht schwerfälliger machen
Dazu Professor Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen: „Die großen deutschen Familienunternehmen sind weltweit aktiv und binden selbstverständlich die Belegschaft auf betrieblicher Ebene ein – national und international. Die SE passt mit ihrer grenzüberschreitenden Ausrichtung oft sehr gut zu ihnen. Sie sollte gerade deshalb im Vergleich zu anderen ausländischen Unternehmensformen, in denen globale Wettbewerber organisiert sind, strukturell nicht schwerfälliger und in der Entscheidungsfindung nicht langsamer sein.“