"Es gilt auch, den Wohlstand zu erhalten"
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 09.04.2024
Wo ist Scholz und was will er?
Das Verhältnis zwischen der Wirtschaft und der Ampelkoalition ist schlecht. Die Ursache sehen Verbände nicht so sehr bei Wirtschaftsminister Habeck, sondern vor allem im Kanzleramt.
Von Julia Löhr, Berlin
Etwas mehr als ein Kilometer Luftlinie liegt zwischen der Stiftung Familienunternehmen und dem Bundeskanzleramt in Berlin, der Bundestag ist sogar in Sichtweite. Pünktlich zur Rückkehr der Abgeordneten und der Minister aus den Osterferien lud die Stiftung am Montagmorgen zum großen Aufschlag ein. Stiftungschef Rainer Kirchdörfer und die fünf Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der Familienunternehmer präsentierten ihr wirtschaftspolitisches Reformprogramm für Deutschland. Der Inhalt ist wenig überraschend: weniger Subventionen für einzelne Branchen, stattdessen bessere Rahmenbedingungen für alle Unternehmen – es ist das, was Ökonomen der Ampelkoalition seit Monaten raten.
"Wo ist Scholz und was will er"
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Doch seit der wirtschaftlichen Bestandsaufnahme von Wirtschaftsminister Robert Habeck („die Lage ist dramatisch schlecht“) und Finanzminister Christian Lindner („peinlich und sozial gefährlich“) Anfang des Jahres ist politisch wenig passiert. Das Wachstumschancengesetz ist zwar inzwischen auch vom Bundesrat verabschiedet, die Entlastungen für die Wirtschaft wurden von den Ländern aber auf rund 3 Milliarden Euro im Jahr mehr als halbiert. Während Lindner derzeit täglich Vorschläge für wirtschaftspolitische Reformen macht, war von Habeck zuletzt wenig zu hören. Die politische Debatte kreist vor allem um neue Sozialleistungen wie die Kindergrundsicherung.
Besonders groß ist die Unzufriedenheit in der Wirtschaft mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Der rief im vergangenen Jahr ein neues grünes Wirtschaftswunder aus, kritisierte ein Schlechtreden des Standorts Deutschland und erklärte der Wirtschaft mit Verweis auf die Ansiedlung neuer Chipfabriken, es laufe wirtschaftlich alles auf Deutschland zu.
„Echte Durchbrüche“ in der Wirtschaftspolitik?
Dieser Strategie des beharrlichen Optimismus bleibt Scholz auch in diesem Jahr treu, trotz der auf nur noch 0,1 Prozent Wachstum gesenkten Prognose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Es seien „echte Durchbrüche in Richtung auf mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Innovation und weniger Abhängigkeit“ gelungen, sagte der Kanzler auf der Konferenz „Europe 2024“. Und auf der Handwerksmesse in München schob Scholz der Wirtschaft den Schwarzen Peter zu. Er wisse, dass der Gruß des Kaufmanns die Klage sei, klagte er. Aber es helfe nicht, „wenn ganz viele Lobbyisten und Politikunternehmer die Stimmung im Land verschlechtern, weil die Leute ihr Geld dann auf dem Sparbuch behalten und nicht investieren“.
Am Mittwochmittag wird Scholz im Haus der Wirtschaft in Berlin die Chefs der vier Spitzenverbände BDI, DIHK, BDA und ZDH auf deren Klausurtagung treffen. Der Termin steht schon lange fest, umso bemerkenswerter ist, welche Botschaft BDI-Präsident Siegfried Russwurm eine Woche vor dem Austausch mitten in die Berliner Osterruhe hinein platzierte: Mit Habeck und Lindner könne man ja reden, da bestehe ein regelmäßiger Austausch, sagte Russwurm in einem Interview. Von Scholz dagegen gebe es nur „Abkanzeln“. Die Lage werde im Kanzleramt „dramatisch unterschätzt“. Im Kanzleramt war man not amused. Eine Regierungssprecherin ließ ausrichten, es gebe einen regen Austausch und dieser werde auch fortgesetzt. Das Verhältnis zwischen den Verbänden und dem Kanzleramt wirkt wie das eines Paares, das großteils nur noch über seine Scheidungsanwälte miteinander kommuniziert.
„Es gilt auch, den Wohlstand zu erhalten“
Auch Rainer Kirchdörfer ließ am Montag wenig Gutes an der Arbeit von Scholz. „Der Kanzler redet zu wenig über das, was er will“, kritisierte der Interessensvertreter der Familienunternehmen. In der Wirtschaft sei es so: Man setze sich ein Ziel, lege die Prioritäten auf dem Weg dorthin fest und setze dann ausreichend Ressourcen darauf. „So läuft das in Unternehmen.“
Das sehe er bei der Ampelkoalition aber nicht. Beiratsmitglied Udo di Fabio, einst Richter am Bundesverfassungsgericht und heute Rechtsprofessor in Bonn, sieht indes schon eine politische Priorität, aber die ist ihm zu wenig. „Es gibt noch andere Staatsziele als den Klimaschutz“, sagte er. Ihm ist die Ampelkoalition zu „monothematisch“ unterwegs. „Es gilt auch, den Wohlstand zu erhalten.“ Nur so seien die Klimaschutz- und Sozialstaatsziele überhaupt realisierbar, betonte der Jurist.
Dass Wirtschaftsverbände hart mit der Regierung ins Gericht gehen, ist nicht neu. Habecks Vorgänger Peter Altmaier (CDU) musste sich seinerzeit von einem Verband anhören, dieses Amtes unfähig zu sein. Die Klagen des BDI über die große Koalition konterte die frühere Kanzlerin Angela Merkel (CDU) damit, wie viele Stunden sie damit verbracht habe, die Wogen des von der Autoindustrie verursachten Dieselskandals zu glätten.
Zu der Entfremdung in der aktuellen Legislaturperiode maßgeblich beigetragen hat die Debatte über einen staatlich subventionierten Industriestrompreis. Der Vorschlag Habecks, dafür bis zu 30 Milliarden Euro in die Hand zu nehmen und der Widerstand des Kanzleramts (und der FDP) dagegen war eines der beherrschenden Themen des vergangenen Jahres. Industrienahe Verbände, deren Mitglieder davon maßgeblich profitiert hätten, warben zusammen mit den Gewerkschaften und Habeck für eine solche Subvention. Als der Wirtschaftsminister kürzlich beim parlamentarischen Abend der Chemieindustrie im Hotel Adlon auftrat, war die Stimmung alles andere als konfrontativ. Habeck versprach, jetzt bei den Netzentgelten Erleichterung verschaffen zu wollen. Die Manager nahmen es mit freundlichem Beifall auf.
Nicht alles den Amerikanern nachmachen
Unter Familienunternehmen haben Subventionen wie ein Industriestrompreis oder auch die Milliardenzuschüsse für die Fabriken von Intel , Northvolt und Co. weniger Fürsprecher. Die Mitglieder wissen, dass sie davon wenig haben, sondern vor allem dafür zahlen müssen. „Tut was für die Struktur, um den Rest kümmern wir uns selbst“, rief Kirchdörfer bei der Präsentation am Montag der Politik zu. Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts, mahnte: „Nur weil die Amerikaner Wärmepumpen-Fabriken subventionieren, heißt das nicht, dass wir das jetzt auch machen sollen.“
Sowohl Scholz als auch Habeck werden nicht müde zu betonen, dass die Energiepreise zuletzt deutlich gesunken sind, auf ein Niveau wie vor dem Beginn des Ukrainekrieges. Rückendeckung bekommen sie vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Klagen der Unternehmen über die Strompreise seien längst nicht mehr begründet, sagte Verbandspräsidentin Marie-Luise Wolff kürzlich. Ähnlich wie Scholz warf auch sie den Unternehmen vor, den Standort schlechter zu reden als er ist. Die Unternehmer, die Habeck kürzlich auf seiner Amerikareise begleiteten, konterten: Dort sei Energie aber weiterhin sehr viel günstiger. Ebenso wie die Steuersätze, die Bürokratie und überhaupt die ganze Einstellung der Politik zur Wirtschaft.
Olaf Scholz kann unterdessen ein neues Erfolgsbeispiel für seine Wirtschaftswunder-Theorie vorweisen: Am Montagnachmittag stand der Spatenstich für das neue Werk des amerikanischen Pharmaunternehmens Eli Lilly in Alzey in seinem Kalender, zusammen mit dem Gesundheitsminister und der Forschungsministerin. Das Besondere an dieser Investition: Sie kam ohne den üblichen Poker um Subventionen zustande. Dass das erfreulich ist, darüber sind sich Politik und Wirtschaft ausnahmsweise einig.
"Wo ist Scholz und was will er?", 09.04.2024, Julia Löhr © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv"