Riesiges Arbeitskräftepotenzial für Familienunternehmen

Weniger Teilzeit könnte 1,7 Millionen zusätzliche Vollzeitstellen bringen
Das Balkendiagramm gibt einen Überblick über die Arbeitskräftepotentiale in verschiedenen Gruppen. Die Anzahl der Beschäftigten wird in Tausend angegeben. Die größten Arbeitskräftepotentiale liegen bei einer Vollzeitanstellung von Frauen ohne Kindern bis 14 Jahre sowie der Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Qualifikationsgruppen (insgesamt 2.868.000 Menschen). Die Potenziale können nicht addiert werden.
Weniger Teilzeit bei Frauen könnte 1,7 Millionen Vollzeitstellen bringen. © Stiftung Familienunternehmen, 2024

Eine schrumpfende und alternde Gesellschaft bedroht das Potenzial für Wirtschaftswachstum in Deutschland. Ein im internationalen Vergleich rekordverdächtig niedriges Arbeitsvolumen und ein hoher Krankenstand bereiten den Familienunternehmen Sorgen. Dabei gibt es viele Menschen, die arbeiten könnten, aber die Rahmenbedingungen setzen oft falsche Anreize. Realistisch betrachtet könnten Millionen Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeit aufstocken.

München, den 30. September 2024. Deutschland sitzt auf einem wahren Schatz an ungenutzten Arbeitskräftepotenzialen. Der größte Hebel zu deren Freisetzung liegt in der Erhöhung der Arbeitszeit pro Kopf und nicht in der Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen.

Große Reserven bestehen noch bei der Erwerbsbeteiligung der über 50- bis 70-Jährigen und den in Deutschland lebenden Zugewanderten. Auch bei den teilzeitbeschäftigten Frauen ohne betreuungspflichtige Kinder gibt es besonders viel Potenzial. Wenn zum Beispiel in der letztgenannten Gruppe nur 50 Prozent so viel arbeiten würden wie die Männer der entsprechenden Altersgruppen, stünden dem Arbeitsmarkt rechnerisch 1,7 Millionen zusätzliche Vollzeitkräfte zur Verfügung.

Das hat das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen in einer Simulationsrechnung ermittelt. Um die Beschäftigungseffekte besser vergleichen zu können, hat das IAW als nützliche Vergleichsgröße Vollzeitäquivalente gebildet.

Im internationalen Vergleich habe Deutschland einen der höchsten Anteile an Arbeitsstellen, die nicht besetzt werden können, so das Forscherteam um Professor Bernhard Boockmann. Zugleich arbeite die Bevölkerung pro Kopf weniger als in fast allen anderen Industrienationen. Der sparsame Umgang mit knappen Arbeitskräften sei auch eine Aufgabe für die öffentliche Verwaltung, denn die dort stetig wachsende Zahl der Beschäftigten steht der Wirtschaft nicht zur Verfügung.

Mit zielgerichteten Anreizen können Behörden, Wirtschaft und Politik die durchschnittliche Arbeitszeit pro Kopf steigern und mehr Beschäftigung schaffen. Die 60 Ideen dazu kommen auch von Vertretern der Familienunternehmen.

Das Liniendiagramm vergleicht die wöchentliche Arbeitszeit von Männern und Frauen ohne Kind(er) bis 14 Jahre auf einer Skala, die von "bis 10 Stunden" bis mehr als 50 Stunden reicht. Erkennbar ist, dass mehr Frauen als Männer weniger als 34 Stunden pro Woche  arbeiten. Im Gegensatz dazu ist der Anteil der Erwerbstätigen, die zwischen 40 bis 44 Stunden arbeiten, bei Männern um 20 Prozentpunkte höher als bei Frauen.
Die wöchentliche Arbeitszeit von Männern und Frauen ohne Kind(er) bis 14 Jahre unterscheidet sich deutlich. © Stiftung Familienunternehmen, 2024

Hebel für mehr Partizipation am Arbeitsmarkt

Um den Beschäftigungsumfang von teilzeitbeschäftigten Frauen ohne betreuungspflichtige Kinder zu erhöhen, empfehlen die Forscher vor allem Änderungen bei den steuerlichen und sozialrechtlichen Rahmenbedingungen. Um mehr reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, sollten die Regelungen für Minijobs eingeschränkt werden. Auch die steuerlichen Vorteile für verheiratete Paare müssten sich ändern. Dadurch würde es für viele Frauen attraktiver, mehr Stunden zu arbeiten.

Die Verbesserung der beruflichen Qualifikationen, von Personen ohne Abschluss bis hin zu solchen mit Meister- oder Technikerabschluss um je eine Niveaustufe, könnte zu einem Zuwachs von 1,175 Millionen Vollzeitkräften führen. Bisher scheitert dies jedoch häufig am Zugang zu Weiterbildungen und an deren Finanzierung. Als gutes Praxisbeispiel verweisen die Autoren auf das Fachkräftestipendium in Österreich (FKS). Es richtet sich zum Beispiel an gering und mittelqualifizierte Arbeitskräfte und hat das Beschäftigungsvolumen deutlich erhöht.

Allein durch die bessere Unterstützung und Förderung von Menschen ohne Berufsabschluss könnte ein Potenzial von 609.000 Vollzeitkräften entstehen. Für diese Gruppe brauche es mehr individuelle Begleitung und Mentorings, so die Forscher.

Bei den schon in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund könnte realistisch ein Beschäftigungszuwachs von 432.000 zusätzlichen Vollzeitkräften erzielt werden.

Bei den älteren, arbeitswilligen Arbeitnehmern ab 50 Jahren steht eine zu hebende Reserve von 414.000 Vollzeitkräften bereit. Die Politik sollte dafür sorgen, dass die „Rente mit 63“ gezielt bei denen ankommt, die sie wirklich benötigen – zum Beispiel bei Menschen mit körperlich fordernden Berufen. Die Bundesagentur für Arbeit sollte ältere Arbeitnehmer, die nach dem Rentenalter befristet weiterarbeiten möchten, zudem stärker als bisher bei der Jobsuche unterstützen.

Die zentrale Botschaft lautet: Deutschland hat ein großes und bereits vorhandenes Arbeitskräftepotenzial, das die Politik nicht liegen lassen darf. Gerade für die Familienunternehmen müssen wir diese Reserven aktivieren. Alles andere wäre fahrlässig. Der Staat muss endlich die richtigen Anreize zur Arbeitsaufnahme setzen.

Professor Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen

Teaserbild: istock Riska, 2024

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