Arbeitskräftepotenziale in Deutschland besser ausschöpfen
- Herausgeber
- Stiftung Familienunternehmen
- Veröffentlichung
- München, 2024
- Institut
- IAW - Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung
- Isbn
- 978-3-948850-51-7
Deutschland verfügt über enorme, bislang ungenutzte Arbeitskräftepotenziale. Große Reserven bestehen noch bei der Erwerbsbeteiligung der über 50- bis 70-Jährigen, den Menschen ohne Berufsabschluss und den in Deutschland lebenden Zugewanderten. Auch bei den teilzeitbeschäftigten Frauen ohne betreuungspflichtige Kinder gibt es besonders viel Potenzial.
Das hat das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) an der Universität Tübingen im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen ermittelt. Mit zielgerichteten Anreizen können Verwaltung, Politik und Praxis die durchschnittliche Arbeitszeit pro Kopf steigern und mehr Beschäftigung schaffen. Dafür liefert die Studie 60 Handlungsempfehlungen, die auch aus Interviews mit Familienunternehmen stammen.
Neu an der Studie ist, dass sie die wichtigsten Potenziale klar benennt und passgenaue Strategien formuliert, wie diese besser genutzt werden können.
Die Ausgangslage:
Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit der Personen im erwerbsfähigen Alter geht zurück. Empirisch belegt die Studie, dass die Deutschen vor 15 Jahren noch durchschnittlich 107 Stunden pro Jahr mehr gearbeitet haben. Die Gründe für die rückläufige Arbeitszeit sind vielfältig: Präferenzen bei der Arbeitszeit haben sich verändert, Teilzeitbeschäftigungen haben zugenommen und tarifvertraglich hat sich die Arbeitszeit verkürzt.
Auch der gestiegene Krankenstand erklärt zum Teil die beobachtete Arbeitszeitentwicklung, schreibt das Forscherteam unter der Leitung von Professor Dr. Bernhard Boockmann. Die durchschnittliche Zahl der Krankheitstage pro Jahr und Beschäftigten ist in der längerfristigen Betrachtung (2007 bis 2019) von 8,1 auf 10,9 gestiegen. Bis zum Jahr 2023 hat sich die Anzahl der Krankentage auf durchschnittlich 15,2 erhöht.
Die deutsche Wirtschaft sieht sich einem zunehmenden Personalmangel gegenüber, bilanzieren die Forscher. Verschärft wird dieser durch die alternde Gesellschaft und den zunehmenden Wettbewerb um Arbeitskräfte zwischen der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor.
Die ermittelten Potenziale:
Die Studie hat sechs Arbeitskräftepotenziale identifiziert, die zu mobilisieren wären. Um die Beschäftigungseffekte besser vergleichen zu können, hat das IAW als nützliche Vergleichsgröße Vollzeitäquivalente gebildet:
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Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Frauen ohne Kinder bis 14 Jahre erhöhen: Wenn in dieser Gruppe nur 50 Prozent so viel arbeiten würden wie die Männer der entsprechenden Altersgruppen, stünden dem Arbeitsmarkt rechnerisch 1,7 Millionen zusätzliche Vollzeitkräfte zur Verfügung.
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Arbeitszeit von Frauen mit Kindern erhöhen: Würden in dieser Gruppe nur 50 Prozent so viel arbeiten wie die Frauen ohne Kinder, wären rechnerisch 717.000 Personen zusätzlich erwerbstätig.
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Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Kindern erhöhen: Wenn es gelänge, die Lücke in der Erwerbsbeteiligung zwischen Frauen mit Kindern und Frauen ohne Kinder zu schließen, wären 477.000 Personen zusätzlich erwerbstätig.
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Erwerbsbeteiligung von Personen ohne Berufsabschluss vergrößern: Die Verbesserung der beruflichen Qualifikationen, von Personen ohne Abschluss bis hin zu solchen mit Meister- oder Technikerabschluss um je eine Niveaustufe, könnte zu einem Zuwachs von 1,175 Millionen Vollzeitkräften führen. Allein durch die bessere Unterstützung und Förderung von Menschen ohne Berufsabschluss könnte ein Potenzial von 609.000 Vollzeitkräften entstehen.
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Erwerbsbeteiligung von Zugewanderten steigern: Bei den schon in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund könnte realistisch ein Beschäftigungszuwachs von 432.000 zusätzlichen Vollzeitkräften erzielt werden.
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Erwerbsbeteiligung älterer Personen erhöhen: Bei den älteren, arbeitswilligen Arbeitnehmern ab 50 Jahren steht realistisch eine zu hebende Reserve von 414.000 Vollzeitkräften bereit.
Wichtige Empfehlungen:
• Um den Beschäftigungsumfang von teilzeitbeschäftigten Frauen ohne betreuungspflichtige Kinder zu erhöhen, empfehlen die Forscher vor allem Änderungen bei den steuerlichen und sozialrechtlichen Rahmenbedingungen. Um mehr reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, sollten die Regelungen für Minijobs eingeschränkt werden. Auch die steuerlichen Vorteile für verheiratete Paare müssten sich ändern. Dadurch würde es für viele Frauen attraktiver, mehr Stunden zu arbeiten.
• Um die berufliche Weiterbildung auf ein neues Niveau zu heben, verweisen die Autoren der Studie als gutes Praxisbeispiel auf das Fachkräftestipendium in Österreich (FKS). Es richtet sich zum Beispiel an gering und mittelqualifizierte Arbeitskräfte und hat das Beschäftigungsvolumen deutlich erhöht.
• Für Menschen ohne Berufsabschluss brauche es zudem mehr individuelle Begleitung und Mentorings, schreiben die Forscher.
• Auch sollte die Politik dafür sorgen, dass die „Rente mit 63“ gezielt bei denen ankommt, die sie wirklich benötigen – zum Beispiel bei Menschen mit körperlich fordernden Berufen. Die Bundesagentur für Arbeit sollte ältere Arbeitnehmer, die nach dem Rentenalter befristet weiterarbeiten möchten, zusätzlich stärker als bisher bei der Jobsuche unterstützen.
- Datum
- 30.9.2024, München